Der griffige Titel der Studie fasst bereits die Kernthese der Philosophin Martha Nussbaum zusammen: Westliche Demokratien sind durch eine um sich greifende Angst gefährdet, denn Angst zerstört fundamentale Voraussetzungen der Demokratie. Aus ihr resultiert Zwietracht, Vertrauensverlust und Orientierungslosigkeit. Sie führt zur Bildung einander feindlich gegenüberstehender Gruppen. Angst ist schließlich ein Gegenspieler von Hoffnung, jener Ressource, die Nussbaum zufolge notwendig ist, um gesellschaftliche Veränderungen zum Besseren ins Werk setzen zu können. Ihre verhängnisvollen Wirkungen entfaltet die Angst laut Nussbaum nicht allein, sondern weil sie sich mit anderen Emotionen verbindet, insbesondere mit Zorn, Schuldzuweisungen und Neid. Ein derartiger emotionaler Haushalt vergiftet Diskussionen, zerstört gesellschaftlichen Zusammenhalt und macht anfällig für einfache Lösungen, wie sie rechtsnationale, mitunter auch linke Populisten anbieten.
Nussbaums Studie verbindet Gegenwartsdiagnose mit Grundsatzreflexionen über die Rolle von Emotionen in Politik und Gesellschaft. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, die von der Autorin als verstörend wahrgenommen wurde. Trump wie die rechtsnationalen Parteien in Europa sind in Nussbaums Perspektive Profiteure einer in allen gesellschaftlichen Schichten grassierenden Angst, die sie zugleich weiter anheizen. Dass es Angst gibt und dass Menschen Angst haben, ist zunächst einmal nicht überraschend. In Rekurs auf psychologische und philosophische Arbeiten zeigt Nussbaum, dass Angst eine emotionale Reaktion auf tiefgreifende Unsicherheitserfahrungen ist. Diese können durch das Erfahren von Bedrohung, den Eindruck von Machtlosigkeit, das Empfinden von Ekel und die Erfahrung von Hilflosigkeit hervorgerufen werden. Wir würden, so habe schon Lukrez gezeigt, in eine Welt geboren, der wir nicht gewachsen seien. Dieses Gefühl erneuert sich in entsprechenden Situationen immer wieder. Das Individuum lernt allmählich, mit solchen Situationen umzugehen. Ziel ist dabei weniger, nie wieder Angst zu haben, da Angst beispielsweise in Gefahrensituationen durchaus eine nützliche Reaktion sein kann, sondern sich von der Angst nicht überwältigen zu lassen.
Für eine Gesellschaft wird Angst problematisch, wenn Gruppen ihr Verhältnis zueinander, zu staatlichen und öffentlichen Einrichtungen und zu anderen Staaten, Gesellschaften und Gemeinschaften über Angst und die mit ihr verwandten Emotionen Neid, Zorn und Schuldzuweisungen regulieren. Angst wird dann politisch. Mit dem Gefühl der Angst zu spielen erlaubt es, Menschen zu manipulieren. Eine Rhetorik der Angst appelliert an unmittelbare, nicht oder nur bedingt reflektierte emotionale Reaktionen und verdrängt damit kognitive Strategien, die auf Distanznahme, Übersicht und begründete Urteilsbildung zielen. Auf der Klaviatur der Angst zu spielen, erweist sich daher für Populisten aller Couleur als aussichtsreiche Strategie. Statt Argument und Begründung regieren dann ungefilterte, partikulare Eindrücke, ‚gefühlte Wahrheiten‘ und emotionale Vorbehalte gegen alles, was Unsicherheitserfahrungen auslösen könnte. Wer Angst hat und keine Strategien kennt, sie zu bändigen, wird manipulierbar, was Donald Trump oder rechtsnationale Parteien in Europa ausnutzen, indem sie immer wieder Angst schüren. Ähnlich wie Zorn, Ekel oder Neid ist die Ausrichtung von Angst, wie Nussbaum zeigt, diffus. Diese Emotionen können auf beliebige Ziele gerichtet werden: Flüchtlinge, Menschen anderer Hautfarbe, fremde Gebräuche und Denkweisen, nicht der Norm entsprechende Körper. Gemeinsam ist diesen Emotionen, dass sie auf die Erfahrung reagieren, dass etwas anders ist oder zu sein scheint, als man es gewohnt ist. Solche Erfahrungen, Eindrücke und Emotionen sind nicht per se schlecht – gefährlich für das Individuum wie die Gesellschaft wird es aber, wenn alle Mechanismen ausgeschaltet werden, die Kontrolle, Distanz und Sublimierung ermöglichen. Dann ist man den elementaren Emotionen schutz- und hilflos ausgeliefert. Um die Angst zu bewältigen, sucht man Schutz in Gruppen von Gleichgesinnten – und verharrt damit erst recht im Königreich der Angst.
Angst ist für Nussbaum eine Emotion, die auf gesellschaftlicher Ebene nicht zu Demokratien passt, sondern zu absoluten Monarchien. Der absolute Monarch regiere dadurch, dass er seine Untertanen beständig in Angst halte, während Demokratien auf Gefühle wie Vertrauen, Verantwortung, Solidarität und Mitgefühl angewiesen seien. Historisch ist diese Gegenüberstellung sicherlich nicht haltbar, sondern stark klischeebehaftet – was auch für viele andere historische Exkurse der Autorin gilt. Als Metapher hat die Rede vom ‚Königreich der Angst‘ jedoch ihren Wert: Angst tilgt Dissens, Abweichung, Pluralität und Ambiguität zugunsten von Eindeutigkeit, Einheitlichkeit, Homogenität und Geschlossenheit. Will man sich für Diversität, Inklusion und Pluralismus einsetzen, benötigt man Zuversicht und Hoffnung, die jedoch von um sich greifender Angst unterminiert werden. Man muss – in der Begrifflichkeit unserer Arbeitsgruppe – bereit sein, Unsicherheit auszuhalten, man muss Risiken eingehen wollen und sich eingestehen, dass nicht alles und jedes kontrollier- und steuerbar ist, eine Haltung, die von beständiger Angst, von Neid, Zorn und Ekel verunmöglicht wird.
Nussbaum zeigt auf eindrückliche Weise, dass wir Emotionen ernst nehmen müssen, wenn wir Menschen und Gesellschaften verstehen wollen. Sie erläutert zudem – auch dies im Sinne unserer Arbeitsgruppe –, dass es nicht genügt, Emotionen oder Sachverhalte aus der Welt zu schaffen, die man für gefährlich oder schädlich hält. Sie werden an anderer Stelle zurückkehren. Der Angst können wir nicht vollständig entrinnen, auch nicht dem Ekel, dem Zorn oder dem Neid. Wichtig ist, dass wir uns gegen diese Emotionen wappnen und verhindern, uns in ihr Reich hinabziehen zu lassen und uns ihnen widerstandslos unterwerfen. Dazu bedarf es geeigneter Strategien – auf individueller und kollektiver Ebene. Nussbaum beschreibt für das Individuum insbesondere antike philosophische Praxis als ein Antidot, daneben auch Psychologie und Psychoanalyse. Für die Gesellschaft sind es positive, produktive Emotionen wie Liebe und Hoffnung, die es erlauben, das Zusammenleben im Sinne aller konsensual zu gestalten. Damit dies gelingen kann, bedarf es, so die Autorin, bestimmter Fähigkeiten, über welche die Mitglieder einer Gesellschaft verfügen sollten: Sie müssen ein Leben normaler Länge führen können; ihre körperliche Gesundheit muss, soweit möglich, gewährleistet sein; ihre körperliche Integrität muss gewahrt bleiben; sie müssen ihre Sinne, ihre Fantasie und ihr Denken üben können; sie sollen positive Emotionen zu anderen aufbauen können; sie müssen befähigt sein, Vorstellungen vom guten Leben zu entwickeln; sie können Bindungen zu anderen Menschen und zu Gruppen eingehen; sie müssen für andere Lebewesen und Arten sorgen; sie müssen in die Lage versetzt werden, zu spielen; sie müssen im politischen wie im materiellen Sinne eine gewisse Kontrolle über die Umstände ihres Lebens ausüben können.
Selbst wenn manche der von Nussbaum genannten Punkte schwammig bleiben und die Systematik nicht immer einleuchtet, ist ihr grundlegender Ansatz vielversprechend. Sie hat ihn nicht zuletzt auf der Grundlage der antiken Philosophie entwickelt. Schon Aristoteles hat unterschieden zwischen Aktualität und Potentialität, zwischen dem, was tatsächlich der Fall und realisiert ist, und dem Vermögen, etwas zu tun und zu realisieren. Gesellschaft kann sich demnach nicht damit begnügen, einen Status quo zu konservieren, bei dem zu verharren, was gegeben ist, sondern muss das Vermögen ihrer Mitglieder sichern, eine andere, vielleicht bessere Zukunft zu eröffnen. Angst, Neid, Zorn und Schuldzuweisungen aber tilgen den Sinn für Potentialität, für nicht realisierte Möglichkeiten, klammern sich an das Bestehende und wollen jeder Erfahrung von Unsicherheit ausweichen. Doch gerade weil wir der Welt im Sinne von Lukrez nicht ganz gewachsen sein werden, müssen wir lernen, es zu werden – irgendwann und gemeinsam.