Sich medial zu informieren ist eine naheliegende Strategie im Umgang mit Unsicherheit, da Informationen einzuholen erst einmal die grundsätzliche Bereitschaft bedeutet, sich intensiver mit einem Thema auseinanderzusetzen. Gerade im vielzitierten digitalen Zeitalter ist das augenblickliche Abrufen von Informationen und der ständige Zugang zu Neuigkeiten und aktuellen Entwicklungen ein selbstverständlicher Teil des Alltags geworden. Um aber festzustellen, ob dieses Einholen von Informationen im Aushalten oder in der Beseitigung von Unsicherheit mündet, muss genaues Augenmerk sowohl auf die Informationsquelle als auch auf die Medienkompetenz der einzelnen Person geworfen werden.
Gefühlte Unsicherheit ist im Zuge der Corona-Pandemie kontinuierlich angestiegen. Der Umfang an Informationen zu Covid-19 und dem Umgang mit dem Virus ist in digitalen wie analogen Medien exponentiell gewachsen. Das Thema bleibt auch im Sommer 2020 äußerst präsent in Presse, Funk, Fernsehen und dem Internet. Als Nutzerin muss ich mir einerseits im Klaren darüber sein, welche Informationen ich aus diesen verschiedenen Medien erwarte, und andererseits muss ich in der Lage sein, die erhaltenen Informationen kritisch hinsichtlich ihres Verfassers bzw. ihrer Verfasserin, ihrer Zielgruppe, ihres Outlets (z.B. Zeitung oder Fernsehsender) und ihres Genres zu reflektieren. Ein Meinungsartikel in einem überregionalen Printmedium, beispielsweise zu einem besonnenen Umgang mit der Ansteckungsgefahr im Alltag, wird vor einem vollkommen anderen Hintergrund produziert als eine dramatische Dokumentation zu steigenden Fallzahlen Covid-19-Infizierter in einem privaten Fernsehsender. Ein Blogeintrag einer Einzelperson auf einer beliebigen Webseite im Internet, der beispielsweise die Gefahr einer Infektion mit dem Virus verharmlost, ist anders zu bewerten als eine Pressemitteilung des Robert-Koch-Instituts zu den neuesten Entwicklungen der Pandemie und deren Besprechung in digitalen sowie analogen Leitmedien. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nicht auch einzelne, von Leitmedien möglicherweise unabhängige Meinungsmacher*innen sich zu Corona äußern können oder sollten; es bedeutet aber, dass Verfasser*in und potentielle Zielgruppe in einer kritischen Auseinandersetzung mit der erhaltenen Information mitreflektiert werden müssen.
Wer über eine solche Medienkompetenz nicht verfügt bzw. sie bewusst außen vor lässt, orientiert sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eher an denjenigen Informationen, die eigene Meinungen und Einstellungen spiegeln. Wenn ich mich ob der Ansteckungsgefahr mit Covid-19 äußerst verunsichert fühle, mich mit dieser Angst aber nicht mehr auseinandersetzen möchte, schenke ich dem die Pandemie verharmlosenden Blogbeitrag im Zweifelsfall mehr Aufmerksamkeit als gemäßigteren Beiträgen. Der verharmlosende Blogbeitrag bietet mir eine klarere Orientierung, und ich versuche damit meine Unsicherheit einzudämmen oder ganz zu beseitigen. Wenn ich aber eine höhere Ambiguitätstoleranz an den Tag lege – mit anderen Worten in der Lage bin, Unklarheit und Unsicherheit auf längere Zeit auszuhalten – informiere ich mich breiter und ziehe verschiedene Standpunkte und Handlungsvorschläge in Erwägung, um auf dieser Basis einen Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie zu entwickeln. Aus dieser Perspektive ist ein reflektiertes, besonnenes Sich Informieren unter Einsatz von Medienkompetenz im oben skizzierten Sinne eine Strategie gefühlte Unsicherheit auszuhalten. Dabei muss freilich im speziellen Kontext von Corona mitbedacht werden, dass sich die Informationslage dynamisch entwickelt und das Einholen von Informationen dementsprechend zusätzlich herausfordernd ist: Selbst seriöse Verbreiter*innen sehen sich mit einer Situation konfrontiert, in der sich der Wissensstand laufend ändert und man auch als Verfasser*in ständig neu filtern und beurteilen muss, auf welcher inhaltlichen Basis man eigene Beiträge produziert.
Eine solche Medienkompetenz als Ressource zum Aushalten von Unsicherheit ist an ein relativ hohes Bildungsniveau gekoppelt; der Umgang mit Medien und die kritische Bewertung von Informationen, die sie vermitteln, muss erlernt werden. Digitale Medien stellen hier eine besondere Herausforderung dar: Das Internet ist ein Raum, in dem Informationen nicht nur abgerufen werden können, wie es in Presse, Radio und Fernsehen der Fall ist, sondern auch von zahllosen Einzelpersonen und Gruppen produziert werden. Kommunikation funktioniert hier also in zwei Richtungen, was eine erhöhte Medienkompetenz im Sinne eines Herausfilterns vertrauenswürdiger Informationen bzw. des Identifizierens von „fake news“ erforderlich macht. Andererseits hängt Medienkompetenz höchstwahrscheinlich mit einem höheren Einkommen und der persönlichen Einbettung in einen heterogenen sozialen Kontext zusammen, da diese beiden Faktoren den Zugang zu sowie das Interesse an medialen Informationen begünstigen (können). Sich medial zu informieren als Strategie zum Aushalten von Unsicherheit wäre demnach milieuabhängig: Diese Strategie scheint weiter verbreitet in einkommensstärkeren Milieus mit höheren Bildungsgraden. Diese sind tendenziell, aber nicht ausschließlich, in urbanen Räumen angesiedelt.
Sich medial zu informieren ist eine wichtige Strategie zum Aushalten gefühlter Unsicherheit, wenn sie mit der erforderlichen Medienkompetenz eingesetzt wird. Ist diese nicht vorhanden, werden Informationen tendenziell so gedeutet, dass sie Unsicherheit durch die Bestätigung eigener Meinungen und Einstellung eher reduzieren als zu Ambiguitätstoleranz beizutragen. Vor diesem Hintergrund ist es zentral, gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu fördern, wie wichtig Medienkompetenz für den souveränen Umgang mit den zahllosen Informationen ist, die Rundfunk, Fernsehen, Presse und Internet zur Verfügung stellen. Dazu gehört es auch, Medienkompetenz als ein Set an Ressourcen zu definieren, die eine kritische Reflektion der Verfassenden, der Zielgruppe, der Outlets und der Genres der unterschiedlichsten Beiträge ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist die Verringerung sozialer Ungleichheiten im Bildungs-, Einkommens- und anderen Bereichen erforderlich, damit sich ein größerer Anteil der Bevölkerung reflektiert informieren kann, statt einfache Antworten zu suchen und zu finden. Nur so können Medien ihrem aufklärenden Auftrag gerecht werden und Rezipient*innen mündig agieren.