Kommunizierenvon Maren Freudenberg

Kommunizieren ist eine Handlung, die alle Teile unseres Alltags prägt und durchdringt. Sobald wir ein Gegenüber haben, d.h. in unserer physischen oder digitalen Umwelt nicht allein sind, kommunizieren wir. Wie der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick es ausdrückte: „Man kann nicht nicht kommunizieren“.[1] Kommunizieren trägt nicht nur zum Informationsfluss durch Austausch bei, sondern kann auch Gefühle der sozialen Nähe oder Distanz verursachen, eine klärende oder verwirrende Wirkung entfalten und allgemein gelingen oder misslingen. Kommunikation passiert dementsprechend auf verschiedenen Ebenen: körperlich und verbal, digital und analog, zwischen Einzelpersonen und Gruppen. Watzlawick unterscheidet hier zwischen dem Inhalt der Kommunikation und ihrem Beziehungsaspekt und betont, dass sie stets symmetrisch (oder „komplementär“) ist.

Als Strategie zum Aushalten gefühlter Unsicherheit erfordert Kommunikation ein hohes Maß an Sozialkompetenz, also die Fähigkeit, sich auf andere Menschen einzulassen und deren Perspektive zu verstehen, ohne zwangsläufig von der eigenen Meinung abzurücken. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Eine Familie – Vater, Mutter, Tochter und Sohn, beide erwachsen – sitzen am Abendbrottisch. Die „Kinder“ des Hauses sind zu Besuch bei ihren Eltern; nach langer Abwesenheit tauscht man sich in intensiven Gesprächen aus. Dabei kommen nicht nur private, sondern auch gesellschaftliche und politische Themen auf den Tisch. Der Vater, ein Mann mit handwerklicher Berufsausbildung, fragt plötzlich gereizt in die Runde, warum er im Radio seit neuestem immer als Frau angesprochen werde. Er fühle sich als Mann benachteiligt und halte nichts von „sogenannter“ Geschlechtergerechtigkeit. Die Tochter, eine studierte Frau, erklärt, dass der gender gap seit einiger Zeit durch das verbale Pausieren zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung signalisiert wird. Wenn also die Rede von „Hörer*innen“ sei, sollen diverse Geschlechteridentitäten verbal durch eine kurze Pause anstelle des Sternchens der Schriftsprache inkludiert werden. Hier wird sie von ihrem Bruder, ebenfalls studiert, unterbrochen. Er merkt sarkastisch an, dass es ihm schleierhaft sei, wie eine solche sprachliche „Verunglimpfung“ die grundlegenden Probleme der Geschlechterasymmetrie lösen solle; das sei „lächerlich“. Die Mutter, eine kaufmännische Angestellte, bemüht sich den Familienfrieden zu wahren, indem sie versichert, dass sie selbst sich als Frau nicht benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlt in der Gesellschaft und die Diskussion für „übertrieben“ hält.

In dieser Situation wird die Unsicherheit der Gesprächspartner*innen auf verschiedenen Ebenen deutlich: Der Vater ist durch das zunehmende gesellschaftliche Bewusstsein für die Gleichberechtigung der Geschlechter, welches sich im Radio sprachlich niederschlägt, verunsichert und kommuniziert dies durch seinen gereizten Ton und das plakative Argument, nicht als Frau angesprochen werden zu wollen. Darüber hinaus ist er von Fachkonzepten wie dem „gender gap“ verunsichert, da er weder den akademischen Diskurs kennt noch den englischen Ausdruck versteht. Der Sohn ist vielleicht davon verunsichert, dass er trotz seines Bildungsstandes nicht genug über den Einfluss von Sprache auf gesellschaftlichen Wandel weiß, um die Situation beurteilen zu können. Die Mutter ist verunsichert, dass ein Thema, das sie für nicht wichtig erachtet, für die anderen so wichtig ist, dass darüber ein Familienstreit ausbrechen könnte. Die Tochter ist von der konfrontativen Situation verunsichert, aber gleichzeitig entschlossen, das Thema auszudiskutieren. Wie kann Kommunikation an dieser Stelle als Strategie eingesetzt werden, Unsicherheit auszuhalten?

Kommunikation hat hier zum Ziel, die Akzeptanz von Unsicherheit zu fördern, damit Unsicherheit ausgehalten werden kann und nicht beseitigt werden muss (z.B., indem der Vater sagt, dass er von Geschlechtergerechtigkeit nichts hält). Ein Verständnis für die jeweiligen Positionen der Gesprächspartner*innen ist hierfür eine Voraussetzung. Die Tochter äußert also z.B. dem Vater gegenüber Verständnis dafür, dass er die weibliche Anrede im Radio heraushört, da die verbale Pause in Wörtern wie „Hörer*innen“ manchmal wahrscheinlich zu kurz ausfällt. Sie merkt an, dass sie verstehen kann, dass er ungern als Frau angesprochen wird, fügt dann aber hinzu, dass Frauen sehr lange mit der männlichen Form angesprochen wurden und dass für diese Asymmetrie ein Bewusstsein geschaffen werden muss, das teilweise mit einer verstärkten Betonung des weiblichen Geschlechts einhergeht. Auf diese Weise teilt sie ihren eigenen Standpunkt mit, nachdem sie den des Vaters zur Kenntnis genommen hat. Das Eingeständnis einer Vielfalt an Ansichten und Perspektiven ist ein weiterer wichtiger Schritt, um durch Kommunikation das Aushalten von Unsicherheit zu fördern. Ihrem Bruder gegenüber betont die Schwester z.B., dass der Zusammenhang zwischen sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen relativ abstrakt sein mag und dass es sicherlich direktere und sehr zentrale Maßnahmen gibt, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Trotzdem, so betont sie, ist der Einfluss von Sprache auf Gesellschaft wissenschaftlich seit langem bewiesen und darf im Kampf um Gleichberechtigung nicht vernachlässigt werden. Außerdem erfordert Kommunizieren Gelassenheit, sorgfältig formulierte Argumente und anschauliche Beispiele, um das Gegenüber zum Verständnis der eigenen Position und zur Akzeptanz von Unsicherheit zu bewegen. So nennt die Tochter ihrer Mutter z.B. einige Beispiele, in der sie – die Mutter – Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts erfahren hat und sensibilisiert sie so für die Wichtigkeit des Themas.

Gerade im Kontext von Familie und Freunden, der emotional meist sehr aufgeladen ist, kann das besonnene und reflektierte Kommunizieren eine Herausforderung sein. Hier ist Sozialkompetenz gefragt, um trotz unterschiedlicher Positionen ein Gefühl der sozialen Nähe und des Miteinanders zu fördern, dass als Basis dafür dienen kann, sich statt auf plakatives Argumentieren und erhitzte Diskussionen durch sanftes Überzeugen – oder auch nur durch die Anregung, nochmals über die eigene Position nachzudenken – auf die Ansichten und Einsichten anderer einzulassen. Auf diese Weise zeigt sich Kommunikation als Strategie, Unsicherheit auszuhalten.

[1] Watzlawick, Paul: Man kann nicht nicht kommunizieren. Göttingen 2011.

Literaturhinweise

Watzlawick, Paul: Man kann nicht nicht kommunizieren. Göttingen 2011.