Ironisierenvon Jan-Hendryk de Boer

Ironie scheint heute allgegenwärtig. Im Alltag, im kulturellen Bereich, in den sozialen Medien und im Journalismus gehört ironische Distanzierung zu den besonders verbreiteten Stilmitteln. Bei Ironie handelt es sich um eine sprachliche Praxis, die es erlaubt, Aussagen zu treffen und sich gleichzeitig von diesen zu distanzieren. Ironische Rede ist eine Rede des Uneigentlichen, in der das Gesagte nicht unmittelbar Überzeugungen und Wertmaßstäbe des Aussagenden abbildet. Um zu verstehen, was gemeint ist, muss das Publikum stattdessen damit kalkulieren, dass die Sprecherin ihrerseits ihre Aussage nicht buchstäblich meint, sondern ein distanziertes Verhältnis zu ihr einnimmt. Ironische Kommunikation erfolgt also indirekt und setzt voraus, dass beide Seiten, Sprecherin und Rezipientinnen, über das erforderliche Wissen verfügen, um das Gemeinte hinter dem Buchstäblichen zu ermitteln.

Ironie kann in diesem Sinne als beständiger Gestus der Distanznahme wirken, der es erlaubt, Gewissheiten aufzubrechen und mit Mehrsinnigkeit zu spielen. Allerdings kann Ironie auch leicht zu einem selbstreferentiellen Kommunizieren unter Insidern werden, die über die nötige Abgeklärtheit und das erforderliche Vorwissen verfügen, um sich fortgesetzt im Wechselspiel von Behauptung und Distanzierung zu bewegen. Ironische Bezugnahmen können in dieser Form sehr unterhaltsam sein und erfreuen sich deshalb auf Twitter und Instagram ebenso großer Beliebtheit wie etwa in Animationsfilmen, die mit ironischen Bezügen auf einen weiten popkulturellen Referenzraum arbeiten. Allerdings droht Ironie so, beliebig zu werden. Die ironische Aussage kann dann entweder für jeglichen Standpunkt vereinnahmt oder überhaupt keiner klaren Position im Meinungsaustausch mehr zugeordnet werden. Bei dieser Form von Ironie handelt es sich um eine resignative Haltung gegenüber auf Wahrheit und Gewissheit zielenden Geltungsansprüchen: Statt wahre Aussagen zu tätigen und Handlungsmaximen zu formulieren, begnügt man sich damit, sich derartigen Ansprüchen beständig zu entziehen. Man richtet sich in der Unsicherheit ein, die daraus resultiert, dass der Grad an Verbindlichkeit von Kommunikation erodiert ist. Das Problem ist allerdings, dass eine zum kulturellen Code erstarrte Ironie Unsicherheit eher ignoriert, als dass sie vermag, deren Möglichkeiten etwa für solidarisches Handeln zu nutzen.

Eine elaboriertere Form von Ironie als Handlungsmaxime hat dagegen der amerikanische Philosoph Richard Rorty vorgeschlagen. Rorty nimmt an, dass jeder Mensch ein abschließendes Vokabular besitzt. Mit diesen Worten kann man seine Wünsche, Hoffnungen und Pläne formulieren, seine Beziehung zu anderen Menschen artikulieren, das eigene Handeln rechtfertigen, andere überzeugen und von seinem Leben erzählen. Über dieses Vokabular kann man nicht hinausgelangen. Jenseits gibt es nur Kommunikationsabbruch oder Gewalt. Eine besondere Bedeutung besitzen Worte, die hochgradig affektbesetzt, historisch und kulturell aufgeladen sind oder mit großen Sinnverheißungen daherkommen. Solche Worte sind zum Beispiel ‚wahr‘ und ‚gut‘, ‚Bildung‘ und ‚Wissenschaft‘, ‚konservativ‘ und ‚progressiv‘, ‚Deutschland‘ und ‚Volk‘, ‚schön‘ und ‚kreativ‘, ‚Arbeit‘ und ‚Konsum‘, ‚Religion‘ und ‚Philosophie‘.

Eine Ironikerin, so Rorty, zeichne sich durch eine spezifische Haltung gegenüber abschließenden Vokabularen aus. Sie hege beständige und radikale Zweifel gegen derartige Vokabulare – und zwar gegen ihr eigenes wie gegen diejenigen von anderen. Sie ist überzeugt, dass diese Zweifel nicht durch Argumente beseitigt werden können. Denn jedes Vokabular kann irgendwie argumentativ gestützt werden. Das sichert jedoch weder Allgemeingültigkeit noch Verbindlichkeit. Die Ironikerin glaubt nicht, dass ein Vokabular die Realität besser abbilde als ein anderes oder dass ein Vokabular in engem Kontakt zu einer externen Macht wie Gott stehe. Eine Ironikerin wird also nicht sagen, dass ein Vokabular schlechthin besser als ein anderes ist. Sie kann allenfalls feststellen, dass ein Vokabular besser geeignet zu sein scheint, um mit einer Situation umgehen zu können, oder sich als adäquater erweist, um eine Problemlage zu beschreiben.

Aus diesen Einsichten erwächst der Ironikerin Rorty zufolge eine besondere Fertigkeit. Sie kann sich nie ganz ernst nehmen, betrachtet weder ihr Vokabular als das einzig richtige noch ihr Selbst als Fixpunkt, aus dem alles andere erwächst. Dadurch, dass sie Vokabulare als kontingent, also historisch und sozial geworden und kulturell situiert erkennt, begreift sie diese als veränderbar. Was geworden ist, kann auch anders sein. Daraus leitet sie ihre Aufgabe ab, eigene und fremde Vokabulare zu verändern. Sie will Objekte und Ereignisse neu beschreiben, neue Ausdrücke finden, alte Wörter mit neuer Bedeutung gebrauchen, unerwartete Verbindungen und Assoziationen schaffen, die einladen, Wirklichkeit anders zu sehen. Dabei will sie stets vermeiden, grausam zu sein und andere zu demütigen. Darin besteht, so Rorty in Anlehnung an Judith Shklar, ihre Liberalität. Anregungen für Neubeschreibungen entnimmt die Ironikerin insbesondere Büchern, gleich ob Literatur, Philosophie oder Wissenschaft, aber auch der mündlichen Kommunikation. Die jeweilige Ressource soll dabei nicht ausgelöscht, sondern erkennbar bleiben.

Die von Rorty entworfene ironische Praxis kann als Strategie verstanden werden, Unsicherheit auszuhalten. Diese Strategie ist anspruchsvoll und benötigt ein erhebliches Maß an Wissen und sprachlicher Kompetenz, aber auch Muße und Freiheit, um überhaupt realisiert werden zu können. Insofern besteht die Gefahr, dass es sich hierbei faktisch um ein elitäres, da sehr voraussetzungsreiches Projekt handelt. Doch die Chancen der Strategie sind groß, denn im Unterschied zur popkulturellen Ironie oder der wohlfeilen ironischen Geste, die in sozialen Medien vorherrscht, vermag die von Rorty konzipierte ironische Haltung, die sprachliche Gestaltung der Welt fundamental zu verändern. Sie erlaubt eine gezielte, beständige Irritation des Gegebenen: Da es keinen Punkt mehr gibt, von dem aus zu klären wäre, welches Vokabular letztgültig richtig ist, muss die Ironikerin mit der aus dieser Einsicht erwachsenen Unsicherheit zu leben lernen. Diese ist unhintergehbar.

Allen Verheißungen, man könne die Kontingenz der Vokabulare eliminieren, sollte mit Skepsis begegnet werden. Alle Schließungsversuche, die Debatten beenden, den Ausbau und die Veränderung von Vokabularen verhindern wollen, sind zurückzuweisen, allerdings nicht in apodiktischem, jeden Widerspruch ausschließendem Ton, sondern durch das Anbieten neuer Beschreibungen und veränderter Lesarten. Dadurch werden andere eingeladen, es der Ironikerin gleichzutun und ihre eigenen abschließenden Vokabulare ebenfalls neu zu schreiben. So entsteht ein beständiger kommunikativer Fluss. Eingedämmt wird er durch den Wunsch, Grausamkeiten und Demütigungen zu vermeiden. Er bleibt ohne externen Zielpunkt, aber doch nicht regellos. Denn das beständige Umbauen von Vokabularen weiß um deren historische und kulturelle Genealogie, ihr Entstehen und ihren beständigen Wandel. Dieses Gewordensein macht sie sich als Ressource zu Nutze, um weitere Umbauarbeiten vorzunehmen, die neue Sichtweisen auf die Welt ermöglichen. Kommunikation besteht insbesondere darin, auf die Vokabulare von anderen zu lauschen und für das eigene Vokabular zu werben – ohne zu glauben, bereits an einem Zielpunkt angekommen zu sein. Unsicherheit bleibt – doch das ist gar kein Problem.

Literaturhinweise

Rorty, Richard: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1992.

Shklar, Judith N.: Der Liberalismus der Furcht, Berlin 2013.