Anerkannt zu werden, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wird dieses Bedürfnis erfüllt, reduziert dies Unsicherheit sowohl in Bezug auf die eigene Person als auch deren Rolle in der Welt. Wechselseitige Anerkennung ist wichtig für psychische Stabilität und eine Voraussetzung für soziale Interaktion. Das wiederholte Versagen von Anerkennung zwischen Personen oder Gruppen dagegen führt zu Irritationen und damit zu Unsicherheit, die – abhängig von sonstigen sozialen, diskursiven, materiellen und psychischen Ressourcen – nur durch radikale Strategien wie (Selbst-)Isolation, Kommunikationsabbruch oder Aggression beseitigt werden können. Anerkannt zu werden und andere anzuerkennen, eliminiert allerdings nicht jede Form von Unsicherheit, denn diese wird in Interaktionssituationen immer wieder neu entstehen. Wechselseitiges Anerkennen stellt jedoch einen Mechanismus bereit, wie diese Unsicherheit auszuhalten und zu bewältigen ist.
Dass Anerkennung einen zentralen Faktor für das soziale Zusammenleben, aber auch für das individuelle psychische Wohlergehen darstellt, wurde in verschiedenen Disziplinen herausgearbeitet. In der Philosophie spielt das Konzept, wenn auch nicht immer der Begriff der Anerkennung, seit der Aufklärung eine große Rolle. Kant, Fichte und Hegel waren überzeugt, dass in der Interaktion zwischen Menschen die Bereitschaft geboten sei, die Rechte und Interessen des anderen anzuerkennen, womit die Bereitschaft verbunden sei, dem eigenen Handeln Grenzen zu setzen. Sozialphilosophische und psychologische Studien haben in jüngerer Zeit immer wieder hervorgehoben, wie wichtig Anerkennung ist bzw. welch großer seelischer Schaden aus einem Mangel an Anerkennung erwächst. Axel Honneth schließlich hat in Bezug auf die Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen von einem ‚Kampf um Anerkennung‘ gesprochen. Personen und Gruppen strebten nicht einfach danach, ihre Anliegen und Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen, sondern zielten darauf, von anderen Personen und Gruppen anerkannt zu werden. Werde Anerkennung verweigert, indem ihnen Achtung versagt und ihre eigenen Beiträge disqualifiziert werden, resultiere daraus ein Gefühl der Erniedrigung und Beschämung mit möglicherweise fatalen sozialen und psychischen Folgen.
Der kanadische Philosoph Charles Taylor hat in einem Essay die Rolle von Anerkennung im Multikulturalismus untersucht. Auch Taylor geht davon aus, dass Anerkennung zumindest seit dem 18. Jahrhundert eine große Rolle für das Selbstverständnis der Menschen spielt. Soziale Anerkennung war selbstverständlich bereits in der Vormoderne wichtig, um Gesellschaften zu ordnen und die Positionen von Akteurinnen und Akteuren in ihnen zu stabilisieren. Aber im 18. Jahrhundert änderte sich der Fokus von Anerkennung: Man zielte nun darauf, in seiner individuellen, von anderen unterschiedenen Person anerkannt zu werden. Besonders wichtig wurde dabei die Anerkennung, Moralvorstellungen ausgebildet zu haben und den eigenen Werten entsprechend zu handeln. Anerkennung wurde insofern verinnerlicht – wodurch das Versagen von Anerkennung zugleich zu einem Angriff auf das Innerste der Person wurde und sich nicht mehr vorrangig auf deren sozialen Status bezog.
Zeitigte das Ausbleiben von Anerkennung in der Vormoderne primär soziale Folgen, insofern man sich in seinem sozialen Status herausgefordert sah, verschoben sich diese Folgen seit dem 18. Jahrhundert zunehmend auf das Seelenleben, die Psyche eines Menschen. Nicht anerkannt zu werden, bedeutet seitdem eine Absage gegenüber der Person mit möglicherweise gravierenden seelischen Folgen. Insbesondere wenn Anerkennung immer wieder versagt wird, resultiert daraus eine Verunsicherung in Bezug auf die eigenen Vorstellungen und Handlungen, die sich nur mit großen Anstrengungen beheben lässt. Weil personale und soziale Anerkennung, so Taylor, in der Moderne unlöslich miteinander verbunden sind, hat auch die mangelnde Anerkennung gegenüber Gruppen und anderen sozialen Formationen unweigerlich Folgen für die betroffenen Personen. Wer erfährt, dass die Gruppe oder Kultur, derer er sich zugehörig fühlt, regelmäßig keine Anerkennung erhält, wird auf zwei Ebenen Unsicherheit erleben: hinsichtlich der eigenen Person sowie der Relation der eigenen zu den übrigen relevanten sozialen Formationen.
Folgt man Taylor, spielt Anerkennung aus den genannten Gründen für multikulturelle Gesellschaften eine große Rolle. Wenn eine Gruppe einer anderen beständig die Anerkennung versagt, führt dies zu sozialer und personaler Kränkung und Unsicherheit, die die weitere Interaktion erheblich belasten. Wenn beispielsweise Muslime in Deutschland immer wieder in der öffentlichen Auseinandersetzung gesagt bekommen, sie gehörten wegen ihrer Religion eigentlich nicht wirklich zu Deutschland, wird ihnen systematisch Anerkennung versagt. Wenn People of Colour durch mehr oder weniger subtile Zeichen bedeutet wird, ihre Beiträge seien in öffentlichen Debatten nicht gleichwertig, wird ihnen Anerkennung vorenthalten. Je häufiger und entschiedener dies geschieht, desto stärkere Kränkungen resultieren daraus, die dem subjektiven Empfinden Vorschub leisten, an anderer Stelle um Anerkennung werben zu müssen. Wenn unterschiedliche Gruppen aber nur noch bestrebt sind, Anerkennung innerhalb der eigenen Gruppierung oder bei denjenigen zu finden, die der eigenen Weltsicht ohnehin nahestehen, behindert dies die Kommunikation und Interaktion zwischen Gruppen und ihren Mitgliedern so erheblich, dass Gesellschaften desintegrieren.
Was ist also zu tun? Taylor wählt nicht die simple Antwort, man müsse einfach jeden und jede anerkennen, damit soziale Integration gelinge und multikulturelle Gesellschaften funktionierten. Es gebe durchaus kulturelle Traditionen, die man aufgrund der eigenen Überzeugungen und Wertmaßstäbe nicht anerkennen könne. Insofern bleibe es nicht nur illusorisch, darauf zu hoffen, dass Gruppen mit unterschiedlichen Wertmaßstäben sich wechselseitig vollständig anerkennen könnten. Auch zwischen Kulturen könne nicht immer vollständige Anerkennung erzielt werden, da es möglicherweise Traditionen gebe, die unvereinbar seien oder zumindest als unvereinbar wahrgenommen würden. Damit erteilt Taylor einem Fundamentalismus der Anerkennung eine entschiedene Absage. Anerkennung kann kein Instrument sein, um jegliche Unsicherheitserfahrung auszuschließen, da dies zu Formelkompromissen führt, die Probleme nur überdecken. Konflikte, die nicht mehr diskursiviert werden können, bestehen fort, schlimmer noch, sie können nicht gelöst werden, weil sie nicht länger beobachtbar sind.
Die von Taylor vorgeschlagene Strategie zielt nicht auf universale Anerkennung, sondern stellt ein heuristisches Prinzip im Umgang mit anderen Kulturen und sozialen Formationen in den Mittelpunkt. Diesen sollte man mit der Überzeugung gegenübertreten, dass sie, ihre Leistungen und Werthaltungen gleichwertig sein können. Mit dieser Haltung sollte man sich ihnen nähern, sie erforschen, befragen und schließlich entscheiden, was man von ihnen lernen und übernehmen könne, was aber auch gegebenenfalls abzulehnen sei. Man soll einer anderen Kultur oder einer als fremd wahrgenommenen Gruppe mit der Annahme begegnen, diese verfügten über vieles, was Respekt und Bewunderung verdiene. Beim weiteren Kennenlernen findet man dann vermutlich auch Eigenschaften und Annahmen, die man selbst beim besten Willen nicht akzeptieren und übernehmen möchte. Taylor hält dies für kein Problem. Multikulturelle Gesellschaften benötigen demnach keine universale Anerkennung von Unvereinbarem, sondern die Bereitschaft, sich Fremdem und Anderem offen zu nähern, es neugierig zu erforschen, sich von anderen belehren zu lassen und dann gemeinsam zu diskutieren, worin man voneinander lernen könne und worauf besser zu verzichten sei. Dieses beständige Werben und Suchen von Anerkennung eliminiert nicht Erfahrungen von Unsicherheit, die sich vielmehr regelmäßig in der Begegnung und in der Auseinandersetzung einstellen werden. Es tilgt jedoch Erfahrungen radikaler und beständiger Verunsicherung mit ihren fatalen sozialen und individuellen Konsequenzen.
Anerkennen erweist sich vor diesem Hintergrund als zentrale Strategie, um Unsicherheit auszuhalten, die allerdings sehr voraussetzungsreich ist. Daraus, dass sie nicht nur auf einzelne Personen oder Situationen zielt, sondern auf soziale und kulturelle Konfigurationen, erwächst ihr eine große Reichweite und eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte. Allerdings erfordert sie einen hohen kognitiven und zeitlichen Einsatz, da andere Gruppen und Kulturen sorgfältig erkundet und befragt werden müssen. Damit diese Operationen an ihr Ziel gelangen, ist das Einholen weiterer Informationen ebenso nötig wie die Ermittlung geeigneter Gesprächspartner, die ihrerseits an einem offenen Austausch interessiert sind. Anerkennen reorientiert insofern eher das grundsätzliche Verhältnis zu anderen Gruppen und Kulturen, als dass die Strategie situativ aufbrechende Kommunikations- und Deutungskonflikte zu beheben erlaubte. Hier kann eine Bereitschaft, sich anderen gemäß dem formulierten hermeneutischen Prinzip zu nähern, immerhin deeskalierend wirken, indem Entscheidungen, andere Überzeugungen und Wertmaßstäbe zu akzeptieren, zu tolerieren oder kritisch herauszufordern, auf die Zukunft verschoben werden. Zudem kann die artikulierte Bereitschaft, andere besser verstehen zu wollen, als Einladung zu einem intensivierten Gespräch verstanden werden und damit als Weg zu reziproker, wenn auch möglicherweise nur bedingter Anerkennung erscheinen.
Literaturhinweise
Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Mit einem neuen Nachwort, Frankfurt am Main 2003.
Honneth, Axel: Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte, Berlin 2018.
Taylor, Charles: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Mit Kommentaren von Amy Gutmann, Steven C. Rockefeller, Michael Walzer, Susan Wolf und einem Nachwort von Jürgen Habermas, Frankfurt am Main 2009.