Spätestens mit der globalen Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 ist offenkundig: Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit. Der Eindruck, dass die Welt unsicherer wird, mag sich jetzt überdeutlich aufdrängen, hat aber auch schon in den letzten zehn Jahren das soziale und politische Leben in westlichen Demokratien geprägt. Zunehmend wurden diese durch gesellschaftliche Spaltung, aggressive Sprache, Missachtung gegenüber Andersdenkenden und den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen erschüttert. Bei der Frage nach den Ursachen für diese Entwicklungen wird häufig auf Unsicherheit, Ungewissheit und Angst verwiesen.
Durch globale Dynamiken und Veränderungen, wie Migration, Klimaerwärmung, wachsende soziale Ungleichheit oder das Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen, haben einzelne Personen und Personengruppen das Gefühl, dass ihre Strategien im Umgang mit der Wirklichkeit nicht mehr in gewohnter Weise funktionieren. Diese Erfahrungen können mitunter produktiv genutzt werden, wenn etwa in der Corona-Krise sozialer Zusammenhalt und Rücksichtnahme auf Schwächere betont werden. Sie können aber auch in ein Gefühl kollektiver Überforderung münden. In diesem Fall kann gefühlte Unsicherheit ein Problem nicht nur für die einzelne Personen werden, sondern für Gesellschaften insgesamt.
Insbesondere am Erstarken rechtspopulistischer und rechtsnationaler Bewegungen in Europa, Südamerika und den USA wird deutlich, dass die erfahrene Unsicherheit eine Belastungsprobe für die Demokratie darstellt. Auch der Umgang mit dem Corona-Virus ist von Unsicherheit geprägt: Hier müssen Politik und Gesellschaft in einer Situation agieren, in der sich die Informationslage beständig ändert und Wissen zu partikular ist, um großflächige Orientierung zu bieten. Totale Sicherheit erscheint angesichts der tatsächlichen oder imaginierten Probleme verlockend – bleibt aber illusorisch. Zudem kann ein rigoroses Streben allein nach Sicherheit und Gewissheit Freiheiten und sozialen Zusammenhalt erodieren lassen, woraus neue Probleme und häufig neue Unsicherheit erwachsen.
In diesen ganz unterschiedlichen Kontexten stellt sich daher die Frage, wie Unsicherheit auszuhalten ist. Gegenwartsgesellschaften als dynamische Gebilde sind herausgefordert, wenn bewährte Lösungen und erfahrungsbasierte Routinen nicht mehr in gewohnter Weise funktionieren. Es gilt dann, neue Formen des Handelns und Deutens zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund werden in der Arbeitsgruppe Strategien und Wege diskutiert, wie Unsicherheit sowohl von Einzelpersonen als auch von Gesellschaften als Ganzes ausgehalten werden kann.
Menschen verfügen über zahlreiche Ressourcen, ihre Handlungsfähigkeit trotz tatsächlicher oder gefühlter Unsicherheit aufrecht zu erhalten. Eine Aktivierung dieser Ressourcen stellt in den Augen der Arbeitsgruppe eine Möglichkeit dar, die Demokratie in Zeiten von Unsicherheit zu stärken und die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft und ihrer Mitglieder zu bewahren. Es ist das Ziel der Gruppe, diese Ressourcen zu identifizieren und ihre Anwendung zu erforschen. Daher sollen Handlungsweisen, mit welchen Unsicherheit ausgehalten werden kann, sowohl theoretisch analysiert als auch empirisch beobachtet werden. Auf diese Weise möchte die Arbeitsgruppe Strategien erarbeiten, mit denen Menschen nicht der Versuchung erliegen, die Welt mit aller Gewalt einfacher machen zu wollen, als sie ist.
Weiterführende Informationen und Ergebnisse der Arbeitsgruppe finden Sie hier:
www.global-young-faculty.de/unsicherheit-jetzt/
Mitglieder der AG ‚Unsicherheit Jetzt – Strategien, Praktiken, Ressourcen‘:
Fakultät / Abteilung | Institution | |
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Dr. Isabelle Borucki | Institut für Politikwissenschaften | Universität Duisburg-Essen |
Dr. Cristian Cercel | Institut für soziale Bewegungen (ISB) | Ruhr-Universtät Bochum |
Dr. Jan-Hendryk de Boer | Historisches Institut | Universität Duisburg-Essen |
Dr. Maren Freudenberg | Centrum für Religionswissenschaft- liche Studien (CERES) | Ruhr-Universtät Bochum |
Dr. Timo Lüke | Fakultät Rehabilitations-wissenschaften, Unterrichtsentwicklungs-forschung – Schwerpunkt Inklusion | Technische Universität Dortmund |
Dr. Tim Ruhe | Fakultät Physik | Technische Universität Dortmund |
Dr. Jithender J. Timothy | Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen, Lehrstuhl für Statik & Dynamik | Ruhr-Universität Bochum |
Daniel Ullrich | innogy SE | |
Jun.-Prof. Dr. Alexander Unser | Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie, Institut für Katholische TheologieMedizin | Technische Universität Dortmund |
Dr. Aukje van Loon | Fakultät für Sozialwissenschaft, Lehrstuhl für Internationale Politik, Sektion Politikwissenschaft | Ruhr-Universität Bochum |
Elena Weber | RAG-Stiftung |