Das Projekt „Glokale Verflechtungen im Ruhrgebiet“ fragt danach, wie sich globale Entwicklungen wie Migration und Deindustrialisierung innerhalb des Ruhrgebiets im Lokalen auswirken. „Globalisierung“ betrachten wir dabei aus zwei Blickwinkeln: zum einen als einen Imperativ, an dem Städte sich orientieren, um attraktiv zu bleiben oder zu werden. Hierzu gehört auch die teils hochproblematische Wirtschaftsgeschichte der Städte bzw. einzelner großer Akteure. Zum anderen verstehen wir Globalisierung als beschreibenden Überbegriff für die Vielfältigkeit und das Eigenleben lokaler Praktiken, die durch globale Entwicklungen hervorgerufen werden bzw. auf sie reagieren.
Teilprojekt: Kioske in Dortmund
Die Kioske im Ruhrgebiet erfüllen viele Funktionen: Neben der Versorgung mit Produkten für den täglichen und kurzfristigen Bedarf zu allen Tages- und Nachtzeiten sind sie soziale Treffpunkte und kulturelle Schmelztiegel. Als Begleitorte der Kohleindustrie sind die Buden und Trinkhallen in den letzten Jahren auch verstärkt zu Identifikationsorten einer nostalgischen Ruhrgebietskultur geworden.
Parallel dazu ist die Eröffnung von gastronomischen Betrieben, Läden und Kiosken in den letzten Jahrzehnten eine gängige Geschäftstätigkeit von Zugewanderten im Ruhrgebiet. Kioske sind hierbei besonders interessante Orte, weil sie niedrigschwellige Möglichkeiten der Selbstständigkeit darstellen. So ist heutzutage eine Großzahl von Kiosken in Besitz von Menschen mit Migrationshintergrund, wodurch Kioske auch für Neuzugewanderte wichtige Anlaufstellen zum Informationsaustausch und für den Aufbau sozialer Netzwerke sind. Die kulturelle Vielfalt und Identität einheimischer und anderer Kulturen wird dabei je nach Kiosk hervorgehoben, gemischt oder kaschiert, was den Kiosk zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand migrationsbezogener Forschung macht.
Unser Projekt beschäftigt sich mit Kiosken in Dortmund aus der Perspektive der Glokalisierung. Wir erheben ethnografische Daten, um festzustellen, welche Funktionen Kioske für Zugewanderte erfüllen, welche Sprachen und Kulturen hierbei eine Rolle spielen und wie somit Globalisierung im Lokalen sichtbar wird. Dabei sollen auch beobachtbare Interaktions- und Kommunikationsprozesse in den Blick genommen werden, die darauf hinweisen können, inwiefern sich das soziale Miteinander und Aufeinandertreffen verschiedener Gruppen unterschiedlich erfolgreich (Integration/Inklusion) oder nicht erfolgreich (Segregation/Stigmatisierung) vollzieht.
Im Rahmen des Projekts ist zudem ein Projektseminar an der TU Dortmund geplant, bei dem Studierende aus ihrer Perspektive ausgewählte Orte (Kioske) mit unterschiedlichen methodischen oder gestalterischen Zugängen dokumentieren sollen.
Als Abschlussprodukt soll eine Tour der Kioske entstehen, bei der die jeweiligen Stationen für die Öffentlichkeit mit Hintergrundinformationen und Ergebnissen aus dem Projekt angereichert, erfahrbar und zugänglich gemacht werden sollen.
Teilprojekt: Raum, Ressourcen, Verflechtungen
Ausgangspunkte unseres zweiten Teilprojekts sind die „Neue Grüne Mitte“, der Krupp-Park sowie der Radschnellweg Ruhr RS1 in Essen. Die Neue Grüne Mitte (NGM), ein Prestigeprojekt der Stadt, wird als „hochwertiges, lebendiges, grünes und urbanes Viertel zum Wohnen, Arbeiten und Erholen“ beworben (Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH). Nicht weit entfernt liegt der Krupp-Park auf dem Gelände der ehemaligen krupp’schen Gussstahlfabrik, dessen Realisierung ebenfalls als wichtiges Stadtentwicklungsprojekt gilt. Von der NGM zum Krupp-Park gelangt man in wenigen Minuten über den Radschnellweg Ruhr RS1, der wesentlichen neuen, grünen Lebensader des ehemaligen Transportnetzes der Region.
Wir untersuchen exemplarisch für historische wie gegenwärtige global-lokale transformatorische Prozesse diese Areale hinsichtlich dreier Aspekte: Als Ausgangspunkt werden erstens Ressourcen beleuchtet. Dazu zählen bspw. etwa das Startkapital für die erste Kruppfabrik, das aus Kolonialhandel gewonnen wurde, aber ebenso selbstverständlich die für die Ruhr-Region so prägende Kohle- und Stahlindustrie samt ihrer Im- wie Exporte. Als zweites steht Raum im Zentrum der Forschungen: Wie hängen Eigentum und Flächennutzung zusammen? Wie sind oder waren die Areale durch Transportwege mit anderen Regionen verbunden und wie werden diese umgenutzt (siehe Radschnellweg)? Wie transformiert sich das Wohnen im ehemaligen Arbeiterviertel, das nun zum Univiertel geworden ist? Damit stehen drittens, und die beiden vorigen Aspekte verbindend, Verflechtungen im Mittelpunkt – (Arbeits)Migration, transnationaler Handel und transnationale Produktion sowie die Transformation durch Industrialisierung & Deindustrialisierung.
Durch Archivarbeit, Kartenanalysen (kritische Kartographiegeschichte), Diskursanalysen und ergänzende Videointerviews arbeiten wir die Zusammenhänge zwischen diesen Bereichen heraus, kontextualisieren sie und geben ideengeschichtliche Einordnungen. Als abschließendes Produkt bereiten wir diese Arbeit durch eigens gestaltete Karten, die zur kritischen Erkundung der Areale einladen, sowie einen kleinen Film, der kontextualisierend den RS1 abfährt, auf. Dies präsentieren wir in einer Stadtführung vor Ort.
Die Ergebnisprodukte beider Teilgruppen werden auf einer gemeinsamen Website veröffentlicht und auch nach Projektabschluss zugänglich gemacht.
Mitglieder der AG ‚Glokale Verflechtungen im Ruhrgebiet‘:
Alphabetisches Namensverzeichnis | Bereich | Institution / Unternehmen |
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Nils Bennemann | Fakultät für Geisteswissenschaften Historisches Institut | Universität Duisburg-Essen |
Jonas Carvalho e Silva | Fakultät für Rehabilitations- wissenschaften Lehrstuhl für Soziale und Emotionale Entwicklung in Rehabilitation und Pädagogik | Technische Universität Dortmund |
Paul Eisewicht | Fakultät für Sozialwissenschaften Institut für Soziologie | Technische Universität Dortmund |
Leon David Gabriel | Fakultät für Philologie Institut für Theaterwissenschaft | Ruhr-Universität Bochum |
Raja Herold-Blasius | Fakultät für Mathematik Institut für Entwicklung und Erforschung im Mathematikunterricht | Technische Universität Dortmund |
Michael Karl Kolocek | Forschungsgruppe Sozialraum Stadt | Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH |
Eric J. R. Parteli | Fakultät für Physik Arbeitsgruppe der Theoretischen Physik | Universität Duisburg-Essen |
Alexander Röhm | Fakultät Rehabilitations- wissenschaften Fachgebiet Qualitative Forschungsmethoden und strategische Kommunikation für Gesundheit, Inklusion und Teilhabe | Technische Universität Dortmund |
Eva Weiler | Fakultät für Geisteswissenschaften Institut für Philosophie | Universität Duisburg-Essen |
Patrick Wolf-Farré | Fakultät für Geisteswissenschaften Institut für DaZ/DaF | Universität Duisburg-Essen |
Yi-Jhen Wu | Die Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bildungsforschung Institut für Schulentwicklungs- forschung | Technische Universität Dortmund |