„Würde ist die Möglichkeit zu werden“ – ein zentraler Satz aus der Veranstaltung „Raum und Würde“ am 1. und 2. Februar 2019 in Dortmund. Die Arbeitsgruppe Spaces of Dignity hat mit elf Referentinnen und Referenten, Schülerinnen und Schülern der Dortmunder Schule am Hafen und weiteren Gästen über Würde öffentlicher und privater Räume und ihre Arbeitsergebnisse diskutiert. Die Veranstaltung hat zu produktiven Konfrontationen geführt und zum eigenen Nachdenken angeregt: Lebendige Lebensumfelder in der Dortmunder Nordstadt mit heterogenen persönlichen und kulturellen Ansprüchen auf engstem Raum und letzte Lebensräume und Hospizarbeit mit Ansprüchen an würdevolle Abschieds- und Sterbeorte. Diese Konfrontation führte zum Nachdenken, zum Abarbeiten innerer Konflikte in den Köpfen der Anwesenden und zur Reflexion darüber, wie wir uns die Räume wünschen, die uns in den verschiedenen Phasen des Lebens umgeben, und sie gestalten können.
Die Begrüßung durch Ludwig Jörder (Bezirksbürgermeister Innenstadt-Nord) und Gunter Friedrich (MERCUR) hat unmittelbar vor Augen geführt, wie im Hinblick auf die Dortmunder Nordstadt Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinander gehen. Einer Vielfalt von Lebensmöglichkeiten und lebendigen Räumen steht eine negative überregionale Berichterstattung mitunter unversöhnlich gegenüber. Die Gestaltung von Räumen, von Gunter Friedrich dargestellt am Beispiel sowjetischer Großwohnsiedlungen, kann sehr direkten Einfluss auf dort lebende Menschen und ihre Möglichkeiten nehmen.
Zum inhaltlichen Einstieg hat Prof. Dr. Benjamin Davy (TU Dortmund) mit seinem Vortrag „Würde ist der Konjunktiv von werden“ alle Gäste auf eine Reise durch die Geschichte des Deutschen Grundgesetzes bis zu menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Blikkiesdorp in Südafrika mitgenommen. Sein Fazit umgrenzt Menschenwürde als die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, in der individualistische, egalitäre, hierarchische und fatalistische Aspekte miteinander in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden müssen. Würde sollte allen Menschen die Möglichkeit bieten zu werden und autonome Entscheidungen zu verfolgen. Wir brauchen dazu geeignete Möglichkeitsräume, in denen wir alle werden können und Selbstbestimmtheit in allen Momenten erhalten.
Mit lebendigen Lebensumfeldern in der Dortmunder Nordstadt haben sich Jan-Hendrik Kamlage (KWI Essen), Andreas Koch (GrünBau), Alex Völkel (Nordstadtblogger), Jonas-Erik Schmidt (dpa Deutsche Presse-Agentur) sowie Schülerinnen und Schüler der Schule am Hafen beschäftigt. Würdevolle Gestaltung bedeutet, in dialogorientierter Beteiligung alle Menschen individuell in den Mittelpunkt zu stellen und gemeinschaftliche Willensbildung zu fördern. Selbstgestaltung, Selbstermächtigung, Identifikation und Inklusion aller Menschen in Planungsprozesse sollten dazu laut Jan-Hendrik Kamlage zur Norm werden. Andreas Koch hat konkrete Erfahrungen in der Sanierung von Schrottimmobilien, in der Förderung von Langzeitarbeitslosen und mit Blick auf Anforderungen an würdevolle Wohnbedingungen eingebracht. Im Podium haben Alex Völkel und Jonas-Erik Schmidt mit allen Gästen darüber nachgedacht, was verantwortungsvoller Journalismus heute bedeutet.
Die Abgrenzung zwischen realer Berichterstattung zur Verfestigung von Klischees durch ‚Lückenpresse‘ ist an den Beispielen des Kölner Ebertplatzes und der Dortmunder Nordstadt teilweise fließend. Dabei sprühen gerade diese sogenannten Problemräume auch von engagierten Menschen und Ideen. Das gilt insbesondere für junge Menschen, und so hat die 10. Klasse der Schule am Hafen in Dortmund am Samstag für ihre Arbeiten zu lebenswerten und würdevollen Lebensräumen einen Scheck von 500 Euro überreicht bekommen. Unter der Anleitung von Lehrerin Nadine Brieden haben sie gebastelt, geschrieben und gestaltet. Das Preisgeld möchten sie in eine Abschlussfeier ihrer Klasse investieren. In einem Spaziergang mit Heike Regener (meineHeimat.ruhr) konnten sich die Veranstaltungsgäste davon überzeugen, wie abwechslungs- und möglichkeitsreich die Nordstadt selbst bei Schneeregen ist.
In Podiumsdiskussionen und Vorträgen haben Gerold Eppler (Museum für Sepulkralkultur, Kassel), Armin Nedden und Janina Monka (beide Bethel.regional) sowie Thorsten Haase (Forum Dunkelbunt e.V., Dortmund) Hospize in ihren Möglichkeiten beleuchtet. Der Bogen reichte zurück bis in den Paradigmenwechsel um 1800 und der Industrialisierung, mit der das Sterben zunehmend institutionalisiert wurde und sich aus den Alltagserfahrungen von Menschen entfernt hat. Unter dem Titel „Sterben ist ein Teil des Lebens“ hat Thorsten Haase sehr lebendig aus seinen Erfahrungen in der ambulanten Kinderhospizarbeit und dem Verein Forum Dunkelbunt berichtet. Über den Tod zu sprechen ist eine Hürde, die erst überwunden werden muss – beispielsweise auch auf gemeinsamen Abenden und Friedhofsspaziergängen.
Armin Nedden und Janina Monka haben zunächst die räumliche Gestaltung in den Fokus genommen. Viel wurde während der Umbauarbeiten des Hospizes Am Ostpark in Dortmund neu geschaffen oder grundlegend neu gestaltet: beispielsweise ein Wintergarten, neue eigene Badezimmer, größere Räume, Fensterfronten mit großen und kleinen Fenstern, dezente Möbel und zurücktretende technische Einrichtungen. Beide haben diese Perspektive eng verknüpft mit der Würde von Gästen, Angehörigen, Pflegepersonal und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Würde kann auch in sehr kleinen Möglichkeiten des Selbst-Werdens liegen und zeigt sich auch an einer veränderbaren Möglichkeit, Distanz zwischen Innen und Außen zu bringen. Dazu gehören viel Licht einerseits, aber auch klare Rückzugs- und Beobachtungsmöglichkeiten im Geschützten. Raum und Menschen müssen eng zusammen gedacht werden: ein Hospiz wird erst durch die Menschen und ihre Haltung zu einem Ort des würdevollen Lebens.
Die Arbeitsgruppe Spaces of Dignity bedankt sich sehr herzlich bei allen Gästen und Unterstützerinnen und Unterstützern für zwei spannende, intensive und nachdenkliche Tage!
Bericht: Christian Lamker
Impressionen von der Veranstaltung:
Fotos 1-22, 29: Simon Bierwald, Indeed Photography
Fotos 23-28: Christian Lamker